Es gibt nicht das beste Schreibprogramm. Es gibt aber für ein bestimmtes Projekt das individuell beste Schreibprogramm. Meine individuelle Tabelle:

Writing Tools
Projekt App
Brief (einfach) Word, Pages
Serienbrief Pages
Geschäftsbrief Sublime Text ➝ LaTeX
Blog, Web Ulysses
Markdown (einfach) iA Writer, Ulysses
Notizen (einfach) Apple Notes
Komplexe Notizen Obsidian
Großes Schreibprojekt Scrivener ➝ LaTeX / Ulysses ➝ Pandoc ➝ LaTeX
Wissenschaftliches Schreibprojekt Mellel mit Bookends / Scrivener ➝ LaTeX
Dokument in Kooperation Word
Dokument zur Einreichung Word oder obige Auswahl mit Export oder pandoc zu Word
Bilinguales Dokument Mellel (insbesondere bei RTL Schriften)

Die Tabelle ist nicht abschließend. Jedes Projekt hat seine spezifischen Besonderheiten.

Word

Faktisch muss ich häufig mit Word arbeiten, weil dies aus Kompatibilitätsgründen notwendig ist. Dazu ist der Änderungsmodus von Word ein tatsächlich hilfreiches und gut entwickeltes Tool. Auch lassen sich zwei Dokumente miteinander vergleichen. Furchtbar ist hingegen die Formatierung mit Word. Wer auf Seite 344 feststellt, dass Word ohne weitere Erklärung oder erkennbaren Gründen in Calibri eine Liste formatiert, obwohl die Standardschrift Arial ist, kann nur fluchen. Während man bei Dokumenten um 20 Seiten durch Copy & Paste in ein neues Dokument noch alles retten kann, ist diese Notlösung bei großen Projekten kaum möglich.

Scrivener, LaTeX und Mellel

Bei großen Projekten nutze ich gerne die Funktionen von Scrivener, um das Dokument zu strukturieren und restrukturieren zu können. Scrivener erlaubt auch einen direkten Export zu Word. Wenn man viele Zitate verwendet, bietet sich ein entsprechendes Zitate-Programm1 an. Hier hat sich beim Mac Bookends etabliert, auch wenn ich nicht ganz zufrieden mit der App bin. Die besten Funktionen hat hier noch LaTeX mit dem Paket Biblatex; wer auf LaTeX setzt, der nutzt am besten BibDesk zum Verwalten der Quellen. Auch BibDesk lässt sich mit Scrivener nutzen — ein Export über LaTeX ist dann aber zwingend. Scrivener und insbesondere LaTeX richten sich vor allem an diejenigen, die beim Schreiben nicht ein möglichst dem finalen Ergebnis nahekommendes Dokument sehen wollen/müssen. Bei Scrivener und LaTeX wird erst durch eine Kompilierung das fertige Dokument erstellt; Design und Inhalt sind getrennt. Wer WYSIWYG2 bevorzugt, dem kann Mellel in Kombination mit Bookends empfohlen werden. Das gilt insbesondere, wenn man ein Dokument mit vielen Zitaten erstellen will. Mellel kann dabei bereits beim Einfügen das Zitat in der endgültigen Version anzeigen!3

Zitate: Programm vs. Handarbeit

Zur Frage, ob man überhaupt einen Literaturverwaltungsprogramm verwenden sollte: je weniger Zitate man im Dokument verwendet, desto eher sollte man auf das Programm verzichten und das Zitat und das Literaturverzeichnis händisch erstellen. Nur wenn die Zeitersparnis beim Nutzen der Software größer ist, als die Einarbeitung und Einstellung einer solchen Software ist, lohnt sich ihr Nutzen. Kann man einen Standardstil von Bookends nutzen, ist die Arbeit hierfür recht kurz. Muss man einen Stil selbst erstellen, lohnt sich eine Software wohl nur für große Arbeiten. Je individueller der Zitierstil den eigenen Wünschen angepasst oder nach diesen erstellt werden muss, desto eher wird man LaTeX und Biblatex verwenden und hierfür viel Zeit einplanen müssen.

Apple Notes

Notizen schreibe ich der Einfachheit halber mit Apple Notes. Mit dem Programm lässt sich erstaunlich viel umsetzen. Obsidian ist an dieser Stelle natürlich auch zu erwähnen; die Einzelheiten von Obsidian werde ich aber mal einem eigenen Post vorbehalten.

Briefe

Briefe und kurze Dokumente schreibe ich meist in Word. Dort habe ich mir entsprechende Vorlagen angelegt. Word erlaubt es mir, auch an Windows-Rechnern noch Änderungen am Dokument vornehmen zu können. Auch in LaTeX habe ich mit Scrlttr2 (KOMA-Klasse) eine Brief-Vorlage erstellt. Kleine LaTeX-Texte schreibe ich gerne mit Sublime Text und dem installierten Package LaTeXTools.

Bilinguale Texte

Wenn man bilinguale Texte schreiben muss, würde ich Mellel oder Pages verwenden. Beide Programme können dies recht zuverlässig umsetzen. Tatsächlich ist dies sogar die Kernkompetenz von Mellel — insbesondere wenn man auf Arabisch oder Hebräisch schreiben will. Mellel ist jetzt in Version 6 erschienen. Leider ist das Programm trotz dessen etwas angestaubt. Das User Interface setzt noch auf Paletten — seit der Einführung des Fullscreen Mode in macOS sind die aber unpraktisch geworden.4 Apple dockte seine Paletten in Apps wie Pages, Numbers oder Keynote deswegen an das Hauptfenster an. Mellel hält krampfhaft an den frei schwebenden Paletten fest — und versucht mit Trickserei im Vollbildmodus das Überlappen der Palette mit dem Text zu vermeiden. Abgesehen davon ist das Programm ein professioneller Word-Editor. Es schadet aber nichts, wenn man Basics in Informatik beherrscht. Das Search & Replace Feature setzt zum Beispiel auf RegEx — sehr mächtig, aber kompliziert.

Ulysses

Ulysses verwende ich immer dann, wenn ich es benutzen kann — also kein Grund dafür spricht, eines der obigen Programme verwenden zu müssen. Gerne schreibe ich Blog-Posts mit Ulysses, weil sie aus der App direkt veröffentlicht und aktualisiert werden können. Auch mittellange Projekte kann man gut mit Ulysses umsetzen. Etwas misslich ist der fehlende LaTeX-Export, obwohl der eigentlich einfach umsetzbar wäre. Selbstverständlich ist das Problem über pandoc lösbar. Besonders viel Spaß macht das aber nicht, weswegen ich in diesem Fall Scrivener empfehlen würde. Ansonsten ist Ulysses perfekt, wenn man eine schnelle Idee im iPhone eintippt und diesen Gedanken später auf dem iPad oder dem Mac fortsetzen will, denn Ulysses hält die Dokumente über iCloud im Sync.5

iA Writer

Abschließend will ich noch kurz iA Writer und Marked erwähnen. Mit iA Writer kann man ebenfalls sehr gut Markdown-Texte schreiben. Anderes als Ulysses fehlt aber eine Strukturierung der Dokumente, weswegen sich iA Writer eher für einzelne Dokumente eignet. Ich mag aber die Einfachheit der App. Mit Marked kann man sich schnell einen Markdown-Text in fertiger Formatierung ansehen — und auch laufend aktualisieren lassen, während man den Text weiterschreibt. Die kleine Companion-App lohnt sich vor allem dann, wenn dem Editor ein eigener Viewer fehlt. iA Writer und Ulysses bringen den selbstverständlich mit — wer aber mit Sublime Text ein Markdown-Dokument schreibt, kann die Datei per Drag & Drop in Marked schieben.

Kurz gesagt

Ist das Dokument ________, dann verwende ich:

  • kurz: Word
  • lang: Scrivener, Ulysses
  • unkompliziert: iA Writer, Sublime Text
  • im Web: Ulysses, iA Writer
  • wissenschaftlich: Mellel, Scrivener mit LaTeX

  1. Etwa Bookends, Bibdesk, Zotero. ↩︎

  2. WYSIWYG steht als Akronym für „what you see is what you get“. Dies meint in der Regel eine Echtzeitdarstellung eines Dokuments während der Bearbeitung am Bildschirm, das dort so angezeigt wird, wie es final — etwa ausgedruckt — aussehen soll. ↩︎

  3. Live-Bibliography: Diese Funktion ist nach meiner Kenntnis einzigartig. Wer beim Schreiben gerne schon ein möglichst endgültiges Resultat sehen will, der sollte sich dieses App-Paar, dass sich auch als Bundle kaufen lässt, ansehen. ↩︎

  4. Die Funktion existiert seit macOS 10.7 Lion, das im Juli 2011 angeboten wurde. ↩︎

  5. Außerdem hat Ulysses eine tolle Möglichkeit, Fußnoten zu setzen. Mitunter ist das der Grund, warum ich häufig Fußnoten setze. ↩︎